Praxisbeispiele

Interview mit Respekt-Coaches-Mitarbeiterin

"Alle Menschen haben dieselben Wünsche und Grundbedürfnisse“

Romy Tölk ist Respekt Coach in Pasewalk und arbeitet an zwei Schulen. Die Fachstelle des Programms hat sie in ihrem Büro des Jugendmigrationsdienst Pasewalk besucht und sich mit ihr über ihre Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern ausgetauscht.

Junge Frau vor einem Plakat stehend.
Anders als Frontalunterricht: Durch Planspiele und Workshops fördert Respekt Coach Romy Tölk Toleranz und Wertschätzung.

Romy, seit wann bist du Respekt Coach und was hast du vorher gemacht?

Ich komme ursprünglich aus Pasewalk, habe aber zwischenzeitlich in Schleswig-Holstein gelebt und gearbeitet. Studiert habe ich Gesundheitswissenschaften, also eigentlich etwas ganz anderes. Danach habe ich im klinischen Sozialdienst in einer psychosomatischen Klinik in Bad Segeberg gearbeitet. Außerdem habe ich Gruppenangebote zum Thema Gesundheit und Beruf, Sozialkompetenz und Freizeitgestaltung in unterschiedlichen Kliniken durchgeführt, die auch eine regelmäßige Supervision beinhalteten. Ich bin dann mit meiner Familie zurück nach Pasewalk gezogen und wollte in meiner Elternzeit arbeiten, um beruflich in Pasewalk Fuß zu fassen. Beim Vorstellungsgespräch fragte mich mein jetziger Vorgesetzter, ob ich nicht die neue Stelle im JMD als Respekt Coach besetzen möchte. Ich sagte ihm, dass ich es mir sehr gut vorstellen könnte, sofern ich noch ein paar Schulungen zu dem Thema bekomme. So ist es auch passiert, und seit dem 1. Mai 2018 bin ich beim JMD Pasewalk der Caritas als Respekt Coach angestellt.

 

Nachdem du die neue Stelle angetreten hast, musstest du dich auf die Suche nach Kooperationsschulen begeben. Wie hast du diese gefunden?

Als ich angefangen habe, als Respekt Coach zu arbeiten, waren die Kooperationsschulen quasi schon da. Meine Kollegin im JMD hatte bereits im Vorfeld bei Schulen angefragt, ob diese Interesse haben, mit uns zu kooperieren. Jetzt arbeite ich mit einer Regionalschule und einem Gymnasium zusammen. Bei der Regionalschule traf ich auch auf bekannte Gesichter, denn ich bin hier selbst zur Schule gegangen, und die Schulleiterin war früher meine Englischlehrerin. 

 

Wie lief dein Einstieg in die Kooperationsschulen? Hattest du schnell Kontakt zur Schule oder musstest du um Unterstützung kämpfen?

An der Regionalschule hatte ich sofort einen guten Kontakt, da dort das Programm von einigen engagierten Lehrkräften von Anfang an unterstützt wurde. Beim Gymnasium lief es etwas schleppender an, da die Lehrkräfte sehr viel zu tun haben. Aber jetzt läuft es auch dort ganz gut, jedoch besteht die Zusammenarbeit lediglich aus der Umsetzung der Gruppenangebote. An der Regionalschule arbeite ich hingegen einmal im Monat selbst mit den Schülerinnen und Schülern, bin bei den Gruppenangeboten dabei und habe einmal in der Woche in den Pausen Sprechzeiten. Während dieser Sprechzeiten werden unter anderem Fragen und Sorgen der Schülerinnen und Schüler besprochen, die teilweise nach der Gruppenarbeit entstanden sind.

Ich will sicherstellen, dass auch die Schülerinnen und Schüler, die eher schüchtern sind,
in Diskussionen zu Wort kommen.

Wie hast du die Angebote für die Schulen entwickelt?

Die Schulleitung der Regionalschule möchte gerne, dass ich mit den 7. Klassen in jedem Schuljahr arbeite, da in dieser Klassenstufe die Schülerinnen und Schüler neu zusammenkommen und sich größtenteils nicht kennen, wodurch Konflikte entstehen können. In diesen Klassen habe ich zunächst hospitiert. Ich habe mir den Unterricht und den Schulalltag angeschaut, um Klassendynamiken zu identifizieren. Danach bekam ich die Gelegenheit, mich und den JMD Pasewalk in den Klassen vorzustellen. Ich habe die Gelegenheit genutzt und den Schülerinnen und Schülern Fragen gestellt, an denen ich die Stimmung in den Klassen herauszufinden versuchte. Dazu habe ich ein kleines Plüschmonster mitgebracht und allen erklärt, dass das Monster quasi mein Respekt Coach ist und nur die Person, die das Monster gerade in den Händen hält, etwas sagen darf.

Das Monster nutze ich noch immer, denn damit kann ich sicherstellen, dass auch die Schülerinnen und Schüler, die eher schüchtern sind, zu Wort kommen und sich in die Klassendiskussionen einbringen können. Auf der Klassendynamik basierend schlage ich dann Themen vor, die wir diskutieren, wie z.B. Respekt, Toleranz, Diskriminierung, unterschiedliche Religionen aber auch Fluchtgeschichten. Dabei versuche ich, nicht in die Lehrkraftrolle zu kommen, weshalb ich versuche, bei solchen Diskussionen ein anderes Setting als im Frontalunterricht einzurichten, wie zum Beispiel einen Stuhlkreis.

Ich habe natürlich auch die Lehrkräfte nach ihrer Einschätzung gefragt und mich mit ihnen eng abgestimmt, welche Themen in der Klasse in den Gruppenangeboten behandelt werden sollen und welche Präventionsziele wir verfolgen.

 

Welche Präventionsziele sind das?

Toleranz und Wertschätzung der Vielfalt.

Die Schülerinnen und Schüler sollen lernen, sich zu hinterfragen
und Mitgefühl zu zeigen.

Was für Gruppenangebote hast du dazu bisher durchgeführt?

An der Regionalschule haben wir z.B. mit einem Träger aus Berlin ein Planspiel zum Thema EU-Wahlen durchgeführt. Und wir haben zusammen mit einem Träger Theater-, Tanz- und Filmworkshops zum Thema Diskriminierung durchgeführt. Das Ganze fand außerhalb der Schule statt. So konnten wir eine sehr positive Atmosphäre schaffen, losgelöst vom Schulkontext. Wir hatten hier auch einen Miniworkshop zum Thema Diskriminierung und Respekt. Zudem hatten wir zwei Menschen mit Fluchthintergrund an der Regionalschule, die einer 9. Klasse von ihrer schwierigen Fluchtgeschichte und ihrem nicht immer einfachen Alltag in Deutschland erzählten und mit ihnen diskutierten. Die Interessen aller Schülerinnen und Schüler befriedigen zu können ist natürlich sehr schwierig, aber im Großen und Ganzen glaube ich, dass wir schon eine Menge interessante Themen in den Klassen besprochen haben.   

Mir ist es wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler Zusammenhalt lernen und dass sie merken, dass sie alle ähnliche Probleme und Sorgen haben. Ich möchte ihnen auch vermitteln, dass fremde Menschen nicht gleich böse sind und ebenfalls dieselben Probleme und Sorgen, aber auch Wünsche und Grundbedürfnisse haben wie sie selber, egal welche Hautfarbe oder Religion sie haben. Die Schülerinnen und Schüler sollen lernen, sich zu hinterfragen und Mitgefühl zu zeigen.

Ich habe schon das Gefühl, dass die Schülerinnen und Schüler, mit denen ich arbeite, ein wenig toleranter geworden sind.

 

Wie nehmen dich die Schülerinnen und Schüler als Respekt Coach wahr?

In der Regel freuen sich die Schülerinnen und Schüler mich zu sehen, weil ich anderen „Unterricht“ mache als ihre Lehrerinnen und Lehrer. Nichtsdestotrotz bin ich ein wenig in die Lehrerinnenrolle gekommen. Beim nächsten Mal stelle ich mich als Romy vor und nicht mit meinem Nachnamen. Wenn das „Sie“ einmal drin ist, bekommt man das „du“ nicht mehr hin.

Gerade den Jugendlichen aus den umliegenden Dörfern wird nicht viel geboten.

Du arbeitest in einem eher ländlichen Raum. Wie gestaltet sich die Arbeit und was sind die Herausforderungen?

Für meine Arbeit stellt der Nachmittagsunterricht ein kleines Problem da. Die meisten Schüler und Schülerinnen kommen nicht aus Pasewalk, sondern aus den umliegenden Dörfern. Nach dem Unterricht wollen alle zurück nach Hause, weshalb ich versuche, am Vormittag Termine mit der Schule auszuhandeln, damit ich auch möglichst viele Schülerinnen und Schüler erreiche. Gerade den Jugendlichen aus den umliegenden Dörfern wird nicht viel geboten. In Pasewalk gibt es zumindest ein paar Jugendclubs, aber auf den Dörfern gibt es einfach nichts. Ich erreiche sie nur in der Schule. Dadurch, dass ich während des regulären Unterrichts Angebote machen kann, kann ich auch mit den Jugendlichen arbeiten, die am Nachmittag keine Möglichkeit haben an solchen Gruppenangeboten teilzunehmen. 

Eine andere Herausforderung ist es, geeignete Kooperationspartner für die Gruppenangebote zu finden. In Berlin gibt es zig Anbieter, jedoch hier leider nur ganz wenige und kleine. Deshalb habe ich mich ganz viel weitergebildet, um ebenfalls mit den Schülerinnen und Schülern arbeiten zu können. Um nachhaltige Präventionsarbeit zu leisten, sind regelmäßige Gruppenangebote wichtig und nicht nur einmalige Projekttage oder -wochen.

 

Was planst du als nächstes?

Ich möchte die erwähnte Sprechstunde bekannt machen. Außerdem möchte ich mit den Jugendlichen zu den Themen Interkulturelles Lernen und Sozialkompetenz arbeiten. Das Ganze möchte ich zusammen mit den Kooperationspartnern an den Interessen der Schülerinnen und Schüler ausrichten: Mit den 7. Klassen plane ich eine Theater-Projektwoche sowie einen Graffitiworkshop. Auch das Thema Fluchtgeschichten und Planspiele zum Thema Demokratie möchte ich weiterführen.

 

Ein Beitrag von:
Fachstelle JMD Respekt Coaches / Servicebüro Jugendmigrationsdienste
Veröffentlicht: 17.03.2020

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