Praxisbeispiele

Demokratie und Satire

Mit Comics und Karikaturen werden Grundrechte in Hamburg erlebbar gemacht

Nachdem sich Jugendliche einer Hamburger Berufsschule mit den Grundwerten Freiheit, Gleichberechtigung und Menschenwürde beschäftigt haben, ging es darauf aufbauend um Kunst- und Meinungsfreiheit. Im Rahmen des Programms Respekt Coaches wurden die jungen Menschen in der Workshop-Reihe „Demokratie, Satire und politische Karikatur“ aktiv.

Auf der Abbildung sind drei Kinderköpfe zu sehen und eine erwachsene Person.
Mit Cartoonist Piero Masztalerz analysierten die Jugendlichen Karikaturen.

„Ich arbeite so zu den Grundrechten, dass sie erlebbar werden.“ Seit knapp einem Jahr arbeitet Mohammad Nadeem mit den 16- bis 18-Jährigen zweier AvM-Klassen (Ausbildungsvorbereitung für Migrantinnen und Migranten) der Hamburger Berufsschule GELUTEC zu politischen Grundwerten und Grundrechten. Der Respekt Coach des Jugendmigrationsdienstes Hamburg (AWO) organisierte dafür zunächst Workshops zu Freiheit, Gleichberechtigung und Menschenwürde. In der zuletzt durchgeführten Workshop-Reihe „Demokratie, Satire und politische Karikatur“ stiegen die jungen Menschen über einen Zeitraum von vier Wochen in das Thema Meinungsfreiheit ein.

 

Grundrechte erlebbar machen

„Cartoons und Comics sind Teil der Lebensrealität der Jugendlichen, unabhängig von Geschlecht, Herkunft und Sprache“, erzählt Mohammad Nadeem. Die Jugendlichen, die aus unterschiedlichen Ländern zugewandert sind, seien zum Beispiel mit den persischen oder arabischen Übersetzungen amerikanischer Comics großgeworden. „Über die Comics sind wir dann zu Karikaturen gekommen.“

Für die Workshops konnte Nadeem den mehrfach preisgekrönten Comic-Zeichner Piero Masztalerz gewinnen. Masztalerz, der unter anderem für die Satiremagazine Eulenspiegel und Titanic gearbeitet hat, steht auch als Stand-Up-Comedian auf der Bühne und tritt dort mit seinen animierten Figuren auf. „Das hat auch in den Workshops sehr viel Aufmerksamkeit für politische und ernste Themen geschaffen“, so der Respekt Coach.

 

Meinungsfreiheit und ihre Grenzen

Meinungsfreiheit unterliegt Grenzen, die in einem rechtlichen Rahmen geregelt sind. Die Jugendlichen lernten, dass es wichtig ist, humoristische Darstellungen in ihrem Kontext zu beleuchten, und warum bestimmte Themen, Symbole und Witze verboten sind. Die Teilnehmenden zeigten sich dabei „sensibilisiert und informiert über aktuelle Diskurse um Mobbing, Ausgrenzung und Hass“, so Mohammad Nadeem. Und sie haben begriffen: Oft werden verletzende und menschenverachtende Aussagen unter dem Deckmantel der Satire und des Witzes als Spaß abgetan. Welche psychologischen und sozialen Auswirkungen solche Aussagen auf Betroffene haben können, wurde am Beispiel von Hass-Kommentaren und Beleidigungen im Internet diskutiert.

In dem Zusammenhang zeigte Piero Masztalerz auch eigene Cartoons, die er vor zehn Jahren publiziert hat und heute nicht mehr zeichnen würde. Gemeinsam wurde besprochen, warum die Bilder aus heutiger Sicht problematisch sind und dass auch er als Cartoonist darauf achtet, mit seiner Kunst keine Personengruppen zu beleidigen.

Sitzende Jugendliche und vortragende erwachsene Person.

Meinung oder Beleidigung? Im Workshop sprachen die Teilnehmenden über die Grenzen der Meinungsfreiheit.

 

Eine Schülerin sagte dazu: „Uns hat dieser Workshop viel Spaß gemacht, weil wir über das Thema vorher im  Politikunterricht gehört haben, aber hier an Beispielen verstanden haben, wie Meinungsfreiheit funktioniert. Herr Masztalerz hat mit uns anhand von lustigen Bildern und Witzen über ernste Themen gesprochen. Davon sind viele Sachen hängengeblieben und wir passen jetzt mehr im Klassenzimmer und unserer Chatgruppe auf.“

 

Kulturvermittlung und Dialog

In einem weiteren Workshop-Teil beschäftigten sich die Jugendlichen mit Märchenerzählungen unterschiedlicher Kulturen. Deutsche Märchen der Gebrüder Grimm wurden von vielen Teilnehmenden, die in den letzten drei bis fünf Jahren nach Deutschland zugezogen sind, als gruselige Geschichten aufgefasst. Umso spannender war es zu sehen, welchen Zugang sie zu den Märchen bekamen, als Piero Masztalerz sie durch eigene Zeichnungen neu interpretiert hat. „Wenn Rapunzel zum Beispiel nicht als blondes Mädchen in pinker Kleidung darstellt wird, sondern als Punkerin“, gibt Respekt Coach Nadeem einen Einblick. Masztalerz beschreibt seinen Eindruck so: „Es war sehr interessant zu sehen, wie die Jugendlichen deutsche Satire interpretieren und teilweise sogar direkt losgelacht haben. Man kann daran sehen: Humor kennt keine Grenzen!“

Anschließend wurden Karikaturen aus verschiedenen Ländern, aus denen die Jugendlichen stammen, darunter Syrien und Afghanistan, mit einbezogen und diskutiert. Diese Gespräche gaben den Teilnehmenden tiefe Einblicke in die politische Situation anderer Länder und schafften damit ein besseres Verständnis in den Klassen füreinander.

 

Fußball-WM, Corona und Klimaschutz

„Das Hauptaugenmerk der Workshops war, die Karikatur als meinungsbildende Bildsorte verständlich zu machen und die politisierende Wirkung zu erklären“, erklärt der Respekt Coach eines der Ziele. „Und zu vermitteln, mit welchen Mitteln Karikaturisten arbeiten, sodass die Karikatur verzerrt, aber dennoch verständlich dargestellt wird.“

So konnten die Jugendlichen auch selbst aktiv werden und leere Sprechblasen in vorgegebenen Cartoons ausfüllen. Laut Mohammad Nadeem wurde sehr gut deutlich, dass die Bildsprache von Cartoons und Karikaturen auch in Klassen, in denen Sprachbarrieren bestehen, funktioniert und verstanden wird: „Zu globalen Themen wie die Fußball-WM in Katar, Corona und die Klimakrise hat jeder eine Meinung. Durch die bildliche, humorvolle und pointierte Darstellung konnten durchaus neue Grenzen abgesteckt und Meinungsbildungsprozesse bei Schülerinnen und Schülern angestoßen werden. Wichtig war uns, dass dabei auch dem vielseitigen Humor der Teilnehmenden Raum gegeben wird.“

Nadeem plant, weitere Grundrechte anhand niedrigschwelliger Methoden für die Jugendlichen greifbar zu machen. Mit dieser Herangehensweise mache er durchweg gute Erfahrungen und meint: „Das ist eine wunderbare Ergänzung zum Bildungsplan, weil die Schule dafür keine Ressourcen und auch nicht die Netzwerkpartner hat. Das Respekt-Coaches-Programm ist da die Schlüsselstelle.“

Ein Beitrag von:
JMD Hamburg / Servicebüro Jugendmigrationsdienste
Veröffentlicht: 07.03.2023

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