Mit elf Klassen im Kino: Filmbesuch in Heidenheim regt zu Gesprächen an
Im Heidenheimer Kino war mächtig was los. Für Schülerinnen und Schüler aus elf Klassen und zwei Respekt Coaches des JMD Heidenheim öffneten sich exklusiv die Türen im Lichtspielhaus. Auf der Leinwand: der aktuelle Film „Freibad“. Die darin enthaltenen Themen, von Religion über Homophobie bis Rassismus, wurden im Anschluss auf unterschiedliche Weise reflektiert.
„Ich habe den Trailer gesehen und dachte: Wow, dieser Film beinhaltet ungefähr alles, was von dem Respekt-Coaches-Programm abgedeckt wird. Ich wollte dann sofort etwas dazu machen“, erzählt Jennifer Roscher von ihrem ersten Eindruck. Sie ist Mitarbeiterin im JMD-Programm Respekt Coaches des Jugendmigrationsdienstes (JMD) Heidenheim der Arbeiterwohlfahrt (AWO). Der Film „Freibad“ spielt in einem Frauenfreibad in Deutschland. Dort baden Frauen mit nacktem Oberkörper, im Bikini, Badeanzug oder auch Burkini, der den gesamten Körper verdeckt. Nichts bleibt unkommentiert. Es entstehen Diskussionen und Konflikte bis hin zur Eskalation. Das Publikum wird mit Fragen konfrontiert wie: Wer muss sich wie anpassen? Wer stellt eigentlich die Regeln auf? Und wer darf über den weiblichen Körper bestimmen?
Themen für alle Klassenstufen relevant
Dass nicht nur das Frauenbild Thema ist, wird Jennifer Roscher bereits durch den Trailer klar. Es geht um Stereotype, Homophobie, Rassismus. Themen, die im JMD-Programm Respekt Coaches immer wieder bearbeitet werden, so auch in Heidenheim. Jennifer Roscher arbeitet in drei sechsten und drei neunten Klassen sowie einer Förderklasse. Ihre Respekt-Coaches-Kollegin Jessica Kruppa ist in der siebten und achten Klassenstufe tätig. Insgesamt arbeiten die beiden an vier Kooperationsschulen. Zu Beginn des Schuljahres setzen sich die JMD-Mitarbeitenden jeweils mit Lehrkräften und Schulleitung zusammen, um die Bedarfe in den Klassen zu ermitteln. So können die Gruppenangebote im Rahmen des Programms passgenau entwickelt werden.
Zum Film „Freibad“ überlegte Roscher, für welche Schülerinnen und Schüler er in Frage käme. „Ich habe dann gemerkt, dass er für alle Kooperationsklassen passt.“ Welche Themen in den verschiedenen Klassen vertiefend besprochen werden sollten, stellte sich erst nach der Filmvorführung heraus. Zunächst ging es an die Planung des Kinobesuchs.
„Komplettes Kino für uns“
Als der Film herausgebracht wurde, hatten die Jugendlichen gerade Ferien. Jennifer Roscher fragte daher im Kino Heidenheim an, ob der Film noch länger gezeigt werden könnte. „Das war zum Glück kein Problem.“ Am Kinotag selbst wurde das Lichtspielhaus exklusiv für das Respekt-Coaches-Programm um 8:00 Uhr geöffnet, zwei Kinosäle waren reserviert. „Wir hatten das komplette Kino für uns und haben dann jede Kooperationsschule für eine bestimmte Uhrzeit ins Kino ‚bestellt‘.“ Insgesamt schauten 260 Schülerinnen und Schüler aus elf Klassen und vier verschiedenen Stufen sowie die Förderklasse den Film.
Um mit 260 Jugendlichen ins Kino gehen zu können, bedurfte es einer guten Organisation der Respekt Coaches.
„Jessi und ich haben uns auf die zwei Säle aufgeteilt. Während des Films haben wir viel mitgeschrieben. Direkt im Anschluss, noch im Kinosaal, haben wir mit den Klassen ein kurzes Blitzlicht gemacht“, also eine spontane Reflexionsrunde, um den Jugendlichen die Chance zu geben, ihre ersten Eindrücke zu teilen. „Zwischen den Vorführungen haben wir uns auf dem Gang getroffen und schon mal kurz abgesprochen, wie wir was im Nachgang aufbereiten können“, berichtet Roscher von dem intensiven Kinotag.
Den Fokus legen die Jugendlichen
In der Blitzlicht-Runde wurde deutlich, wie unterschiedlich die Klassen den Film wahrgenommen hatten. Dabei spielte auch die Lage der Schule eine Rolle. „Meine Kooperationsschulen sind zum Beispiel dörflich geprägt. Sie haben wenig Berührungspunkte mit dem Thema Rassismus. Aus dem Film haben sie deshalb einige dieser Aspekte herausgegriffen“, erzählt Jennifer Roscher. „Bei Jessis städtischen Schulen war Rassismus schon oft Thema, da kam durch den Film nicht mehr so viel Neues. Dafür sind den Schülerinnen und Schülern dieser Klassen eher die Themen rund um Religion aufgefallen.“
In den Folgewochen wurde der Kinobesuch noch einmal in den Klassen besprochen. Die jeweiligen Themen haben die Respekt Coaches dabei nicht vorgeplant. Alle im Film angesprochenen Konflikte könne man ohnehin nicht bearbeiten. In der Nachbereitung müsse man sich also fokussieren. „Den Fokus findet man heraus, indem man mit den Klassen spricht. Und das ist das Interessante: Der Fokus ist dann bei allen ein anderer.“
Elf Klassen, elf Arten der Nachbereitung
In jeder Klasse konnte der Film Anstöße geben. Ein Thema, das in fast allen Stufen für Gespräche sorgte, waren Geschlechtsidentitäten: Eine Person in dem Film ist transgender. Eine Frau, die bei der Geburt einen männlichen Geschlechtseintrag erhalten hat. Trans- und Homophobie sei bei einigen der jungen Menschen sehr präsent, erzählt die Respekt-Coaches-Mitarbeiterin. „Das Thema war mir deswegen ganz wichtig. Oft stößt man damit auf Mauern und ich muss dann überlegen, mit welchen Methoden ich das Ganze angehen kann. Die Person im Film war ein richtiger Türöffner für das Thema.“
Die jüngeren Schülerinnen und Schüler der sechsten Klassen sprachen im Nachgang viel darüber, wer im Film in wen verliebt war, „aber auch über Selbstliebe. Und das hatte ich vorher auch noch nicht, dass ich einfach so mit Schülerinnen und Schülern über Selbstliebe gesprochen habe“, so Roscher.
Langfristige Begleitung von Vorteil
Alle Themen sind berechtigt, und alle sind wichtig. Das Respekt-Coaches-Angebot in Heidenheim gibt ihnen den nötigen Raum. Die jungen Menschen erhalten so die Möglichkeit, eigene Gedanken und Verhaltensweisen zu reflektieren, Vorurteile zu erkennen und andere Meinungen zu diskutieren.
Ein großer Vorteil gegenüber punktuellen Angeboten ist die langfristige Begleitung der Klassen. Die Neuntklässlerinnen und Neuntklässler kennt Roscher bereits seit der sechsten Klassenstufe und beobachtet die Entwicklung der Jugendlichen und ihrer Bedürfnisse. Und auch wenn ihr die individuellen Charaktere bekannt sind – nicht nur von Schuljahr zu Schuljahr, „auch nach den Ferien oder nach einem Praktikum, es sind immer neue Menschen. Es macht total Spaß, das zu beobachten und wie man sie wieder für neue Themen begeistern kann.“
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Servicebüro Jugendmigrationsdienste; Foto: JMD Heidenheim
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